zwei Jungs mit Handy in der Hand

Mutter, Vater, Homeoffice – Familie in der Krise?

Die weltweite Pandemie stellt besonders für Familien eine große Herausforderung dar. Ständig veränderte Corona-Maßnahmen, die Routinen gehen und der Streit kommt. Wie können Homeoffice, Familienzeit und die eigenen individuellen Interessen unter einen Hut gebracht werden? Wie lässt man sich Raum, wo keiner ist? Was können wir aus den ersten Monaten mit dem Virus und für die kommende Zeit lernen? Und welche Möglichkeiten und Chancen gibt es, sich als Familie mental und körperlich gesund zu halten? All das haben wir echte Experten gefragt: Martin (47), Sonja (45), Emil (16) und Max (14)*!


Liebe Familie Müller, schön, dass ihr mit uns dieses Interview führt! Wie geht es euch gerade?

Martin: Grundsätzlich ganz gut, wir haben uns zu Hause eingespielt. Die Jungs sind wieder in der Schule, Sonja arbeitet im Homeoffice und ich bin in Kurzarbeit.

Max: Aber komisch ist es schon ein bisschen. Heute wird vermutlich das letzte Fußballtraining sein. So wie früher ist es gerade nicht. (Anm. Red.: Das Interview wurde am Tag des Bescheids zum „Lockdown light“ ab 2. November geführt.)


Stimmt, ganz normal ist das nicht. Wie war das damals beim ersten Lockdown? Hattet ihr auch die klassische Homeoffice- bzw. Homeschooling-Situation?

Emil: Zu Beginn waren wir eigentlich im Urlaub.

Sonja: Genau, zum Lockdown waren in Hamburg gerade Ferien und danach sind die Jungs dann nicht mehr zur Schule und wir sind auch zu Hause geblieben. Mein Mann war in Kurzarbeit und ich im Homeoffice.


Wie lange ging das so?

Emil: Nach den Sommerfeiern sind wir wieder in die Schule. Von März bis August waren wir also zu Hause. Davor haben wir nur einmal die Zeugnisse abgeholt. Die Lehrer haben dann Bücher nach Hause gebracht und anderes Material über E-Mail verschickt.

Martin: Da fing es an „digital“ zu werden. Aber leider auch mehr schlecht als recht. Die Schulen waren überfordert und wir mussten hier Themen auffangen, die wir nicht leisten konnten. Keine einfache Situation. Dazu kam auch noch das Motivationstief. Wie bringst du zwei Teenager dazu aufzustehen, wenn die Schule zu hat? Unser Deal war dann um 10 Uhr aufstehen und um 11 Uhr geht’s los.

Sonja: Ja, die Schule war die größte Belastung. Bei uns im Job lief eigentlich alles relativ reibungslos, aber unsere Kinder mussten sich alles selbst erschließen und beibringen. Das war dann auch mega viel Stoff, was die da durcharbeiten mussten. Kaum zu schaffen. Und wir haben auch ganz schön Druck gemacht, wenn ich so zurückschaue.


Wie ist das mit der Schule momentan?

Emil: Wir gehen wieder in den Unterricht, müssen aber in der Oberstufe durchgängig Maske tragen. Das ist hart. Hinzu kommen die ständigen News: „Der hat sich angesteckt. Die muss in Quarantäne“. Das zehrt an den Nerven, weil du immer denkst, du bist der nächste.

Sonja: Dazu kommen noch die kleinen Räume. 28 bis 30 Kinder in einer Klasse. Das ist echt schwierig. Wir können uns nicht vorstellen, dass das gut geht.


Man merkt, dass das für alle eine große Belastung ist, aber sicher nicht die einzige Herausforderung für euch?

Sonja: Nein, absolut nicht! Wir haben 80 Quadratmeter zu viert. Und das WLAN war auch schon knapp. (lacht)

Emil: Ach, eigentlich war das auch nicht so schlimm mit dem WLAN.

Martin: Aber das mit dem Platz war schon hart. Die Jungs haben zwar beide ein eigenes Zimmer, aber unser Wohnzimmer ist jetzt Sonjas Büro. Da fehlt dann schon ein Raum.

Sonja: Stimmt! Die drei nehmen dabei immer sehr viel Rücksicht auf mich, wenn ich gerade zum Beispiel einen Termin habe. Das war sehr lieb. Aber die Tür bleibt schon häufig mal zu und das fühlt sich für die anderen bestimmt komisch an.


Wo wir gerade beim Thema Rücksicht und Toleranz sind. Lief das immer so entspannt ab bei euch?

Martin: Puh, es gab schon auch mal ein bisschen Frust. Da ist jeder dann auch immer ein bisschen empfindlicher. Wir drei Männer sind sportlich sehr aktiv. Drei bis vier Mal die Woche Fußball. Als das wegfiel, war das eine große Umstellung. Ein neues Ventil zu finden, ist da gar nicht so leicht. So viele Regeln und kein Spaß. Da haut dann auch schon mal jemand auf den Tisch.

Sonja: Wenn man die Jungs jetzt fragt, würden die sagen: „Ach ja so schlimm war es nicht.“

Max (lacht): Stimmt, chilligste Zeit des Lebens eigentlich!

Sonja: Die haben das teilweise auch echt gut gefunden. Daddelmaschine an von morgen bis abends. So lange bis wir gemeckert haben.


Also hattet ihr eher keine klassische Screentime-Grenze?

Sonja: Die erste Zeit haben wir es laufen lassen, man will das dann ja auch genießen. Irgendwann habe ich dann schon mal gesagt, dass sie ´ne Pause machen sollen, aber jetzt auch nicht überstreng.

Max: Das war eigentlich entspannt bei uns.

Emil: Ja, für Max war das der Hauptpreis. (lacht) Der war eigentlich ganz happy. Hat sich online mit Freunden über die Playstation getroffen.


Und bei dir, Emil?

Emil: Ganz ehrlich, ich bin schon rausgegangen und hab mich im Park getroffen.

Sonja: Ohja, du bist immer erfroren nach Hause gekommen.

Emil: Ich war einfach froh, mal rauszukommen und Kollegen zu treffen. Die Parties fehlen mir besonders. Ich bin auf einer anderen Schule und jetzt sehe ich meine Freunde nicht mehr.

Martin: Ja, das war schon belastend für dich, aber es gab auch ein paar echte Highlights.


Was zum Beispiel?

Martin: Hier konnte jeder auspennen. Wir mussten nicht in Eile Frühstück machen oder Badzeiten abstimmen und irgendwo hinhetzen. Das war super. Wir haben viel Zeit und Ruhe dazu gewonnen.

Sonja: Genau, man war nicht mehr so getaktet. Auch im Privaten gab es für uns weniger Termindruck. Das war eigentlich sehr schön, weil wir auch mal freie Abende plötzlich hatten.


Hattet ihr besondere Traditionen oder Routinen in dieser Zeit?

Martin: Wir haben regelmäßig Fahrradtouren gemacht. Jedes Wochenende. Manchmal sogar bis 80 km. Wir haben da sehr viel Neues kennengelernt. Das war schon echt klasse.

Emil: Aber eigentlich macht man weniger als vorher, weil man sich den ganzen Tag sieht. Da war der Zustand vorher schöner. Da hat man sich gefreut abends mal beieinander zu sein. Jetzt ist es eher so, dass ich die Tür auch mal zulasse.


Was vermisst ihr noch in der Pandemie. Was kommt zu kurz?

Martin: Ganz klar der Kontakt zu den Eltern und Großeltern. Ich war nur einmal bei meiner Mutter, obwohl wir dort eigentlich fünf Mal im Jahr sind.

Sonja: Und der Urlaub ist verschwunden. Das macht irgendwie besonders traurig, weil die Jungs größer werden und ich Angst habe, dass es das für uns nicht mehr als Familie gibt. Ein echter Minuspunkt!


Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie würdet ihr die Zeit für euch insgesamt bewerten?

Emil: 7! Ich glaube, für Mama und Papa war es härter. Für Schüler war es entspannter.

Max: Das glaube ich auch.

Martin: 3.

Sonja: 6 von 10. Wenn die zweite Welle nicht wäre, könnte es bestimmt mehr sein, aber diese Bedrohung macht das Positive kaputt.


Und welche besonderen Learnings habt ihr mitgenommen?

Martin: Definitiv mehr Regelmäßigkeiten einzubauen. Ein klarer Tagesablauf kann da echt helfen. Ansonsten kommst du in ein Loch rein. Klare Aufwachzeiten, einmal rausgehen am Tag und so weiter.


Was können andere von euch lernen? Was macht ihr schon richtig gut als Familie?

Sonja: Ich bin sehr stolz auf meine Familie. Dass sie so respektvoll ist. Und so einen tollen ruhigen Umgang hat.

Max: Ja, wenn einer mal die Nerven verloren hat, hat der andere Rücksicht genommen. Das kann sich sonst auch schnell nach oben schaukeln und dann wird’s Streit.

Emil: Klar, wir sind auch mal ein bisschen ausgetickt, so ist es nicht. Da könnte man dann ein Fass aufmachen, haben wir aber nicht. Wir haben den anderen gelassen.

Martin (lacht): Hätte man mich vorher gefragt, was passiert, wenn wir 8 Monate aufeinander hocken, hätte ich bestimmt nicht gesagt, dass es gut läuft. Aber man kennt sich als Familie und liebt sich und irgendwie geht das dann alles.


Ein schönes Schlusswort!
Danke für eure Zeit. Bleibt gesund!

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* Die Namen wurden auf Wunsch der Beteiligten geändert.

Credit: URBAZON / iStock (Symbolbild)